Exkurs

Vom Aussterben bedrohte Klänge           Klang im Film

Klänge sind nicht immer zufällig da; viele Klänge sind inszeniert und wollen eine konkrete Wirkung erzielen. Menschen gewöhnen sich an Klänge, die sie kennen – sie erwarten sie sogar. Ist ein Staubsauger beispielsweise sehr leise, zweifelt man an seiner Saugkraft. Allzu leise Strassenbahnen oder Fahrzeuge führen zu mehr Unfällen, da deren laute Geräusche die Menschen daran hindern kann, unaufmerksam die Strasse zu überqueren. Der lärmige Verkehr ist also (auch) ein wichtiger Informationsträger und warnt uns.

Die überaus mannigfaltige Bedeutung von Klanglichem – im Alltag, in den Medien und insbesondere im Film – soll in diesem Exkurs aufgefächert werden.

Vom Aussterben bedrohte Klänge

Spielt man Kindern und Jugendlichen heute die Geräusche eines VHS-Geräts vor, stehen sie wohl ziemlich ratlos da. Elektronische (und noch erstaunlich junge) Geräte wie der Walkman, Telefone mit Wählscheibe oder Röhrenfernseher geraten allmählich in Vergessenheit – und so auch deren einzigartigen Klänge. Das Getippse auf einer alten Schreibmaschine, die Gameboy-«Tetris»-Melodie oder Fehlermeldungen der ersten Computer – all diese Sounds verschwinden allmählich aus unserem Alltag. Dass es sich um akustisches Kulturgut handelt, ist wohl den Wenigsten bewusst; zumindest existiert bis dato keine Einrichtung, die sich für den Schutz der vom Aussterben bedrohten Geräusche einsetzt. Es gibt jedoch einzelne Leute, die Klänge der Vergangenheit sammeln und der Öffentlichkeit (konkret: im Internet) zugänglich machen. Ein solches Onlinemuseum ist beispielsweise das «Museum of Endangered Sounds» der amerikanischen Gruppe um Brendan Chilcutt. Das Museum ist leider noch relativ bescheiden an der Geräuschauswahl.

Klang im Film

Die Rolle des Tons im Film

Ton spielt in Film und Video eine sehr große – und weit unterschätzte – Rolle. Der Filmton erweckt die bewegten Bilder erst zum Leben, gibt ihnen Raum, schafft Atmosphäre. Sound im Film ist quasi eine zweite Erzählebene. Filmton macht mindestens 50% eines Filmes aus.

Drei auditive Ebenen sind im Film enthalten: Sprache, Geräusche und Musik. Grundsätzlich besteht eine gegenseitige Beziehung zwischen Bild und Ton, die man als „See a dog – hear a dog“ betiteln kann. Beim Beispiel Hundegebell hat das Geräusch einerseits die Funktion, einen im Film sichtbaren Hund akustisch darzustellen, andererseits einen Ort zu charakterisieren (z.B. einen gefährlichen Hinterhof). Hingegen kann Hundegebell im Hintergrund – ohne dass man dabei einen Hund zu Gesicht bekommt – eine spezifische Atmosphäre schaffen, die als Verbund von meist maximal drei Orientierungslauten organisiert ist. Typische Konstellationen sind zum Beispiel zirpende Grillen und entferntes Hundegebell, die für eine nächtliche Landschaft im Süden stehen, oder leises Geschirrklappern und Gesprächsfetzen, welche eine Klanglandschaft eines Restaurants symbolisieren.

Filmische Atmosphären

Wird im Film ein Meer gezeigt, erklingen nebst dem Rauschen der Wellen höchstwahrscheinlich die Rufe von Seemöwen, obwohl gar keine Vögel erkennbar sind. Solche systematisch organisierte Orientierungslaute bilden nach der Filmwissenschaftlerin Barbara Flückiger grössere Einheiten aus, die sie als Atmosphären bezeichnet. In der Filmwissenschaft hat sich der Begriff „Atmosphäre“ etabliert, um ganze Klangsphären sprachlich zu fassen, wie zum Beispiel Hafen (Wasserrauschen, Schiffshorn), Bahnhof (Züge, Stimmen, Durchsagen) oder eine Bergwiese (Insektensummen, Kuhglocken). Atmosphären sind das akustische Setting, das sowohl die raumzeitliche Orientierung ermöglicht als auch den emotionalen Rahmen abgibt.

Was ein Löwe mit Lauch zu tun hat. Oder: Geräuschmacher bei der Arbeit

Wer meint, im Dokumentarfilm sei alles real, täuscht sich: Kauende Löwen beispielsweise müssen nachvertont werden, da man mit Mikrofonen nicht so nahe an die Raubtiere kommt. Da greifen Geräuschemacher gerne mal auf Gemüse als Geräuscherzeuger zurück:

der klang in film und hörspiel (Aus der Sendung Kulturplatz, 22.04.2015)